Große gelichtete Waldflächen, viel Buschland und steppenartige Grasflächen, unterbrochen von wenigen Flussläufen und bewässerten Feldern, dazwischen Lehmhütten auf staubigen trockenen Böden – es ist wie eine andere Welt, als wir nach sieben Stunden Fahrt das etwa 200 km westlich von Kolkata gelegene Projektgebiet unserer Partnerorganisation Kajla Janakalyan Samiti (KJKS) im Distrikt Jhargram erreichen. Die Landschaft steht in starkem Gegensatz zur dichten Vegetation und fruchtbaren Erde im wasserreichen Ganges-Delta mit dem dichtbesiedelten Großraum von Kolkata. Wir treffen das Team von KJKS, das uns zwei Tage lang über unbefestigte Straßen und schmale Pfade zielsicher in die von uns geförderten Adivasi-Dörfer (indische Ureinwohner, meist Santals oder Sabars/Lodhas) begleitet. Die extreme Armut, die das Leben der Familien prägt, ist in den Dörfern offensichtlich. Viele Kinder sind von dauerhafter Mangel- und Unterernährung gezeichnet, es gibt zu wenige Verdienstmöglichkeiten für die Eltern und bei Krankheit und Unfällen keine Versorgung. Alle wünschen sich eine bessere Zukunft für ihre Kinder und setzen ihre Hoffnung auf das KJKS-Team, das sie nun seit einigen Jahren begleitet.
In jedem der 19 Projektdörfer kümmert sich ein/e SozialarbeiterIn um das Wohl der Kinder. Beim täglichen Nachhilfeunterricht mit anschaulichen Materialien geht es nicht nur um Lesen, Schreiben und Rechnen. Spielerische Koordinations- und Bewegungsübungen sorgen für Abwechslung und fördern die körperliche und geistige Entwicklung. Neben den Lehrplaninhalten legt das KJKS-Team seit letztem Jahr vermehrt Wert auf die Vermittlung des traditionellen Wissens der Adivasi, um dieses vor dem Verschwinden zu bewahren und die eigene kulturelle Identität der Adivasi zu stärken. Regelmäßig kommen Geschichtenerzähler ins Nachhilfezentrum, meist ältere Männer oder Frauen, die über das frühere Leben, über den Gebrauch von wild wachsenden Heil- und Nutzpflanzen der Region, Mythen oder religiöse Orte erzählen und traditionelle Tänze und Lieder vermitteln.
Um Mangel- und Unterernährung zu bekämpfen, bekommen alle 760 Kinder in den Nachhilfezentren täglich eine nahrhafte Mahlzeit1 und monatlich wird ihre körperliche Entwicklung kontrolliert und dokumentiert, um bei Verschlechterung sofort reagieren zu können. Jede/r SozialarbeiterIn ist für „ihr“ Dorf verantwortlich und kennt die Probleme der einzelnen Familien, für die es Lösungen zu finden gilt. Besonders beeindruckt hat uns dabei Chiranjit Bera, eigentlich ein Sanskrit-Lehrer, der sich besonders für die Kinder einsetzt, auch über die Arbeitszeit hinaus: Wenn die Aufklärungsarbeit zu persönlicher Hygiene bei den Eltern nicht erfolgreich ist, schneidet er den Kindern auch mal selbst die Fingernägel oder Haare. Oder fährt die größeren Kinder mit seinem Moped in die weiterführende Schule im Nachbarort – einen Schulbus gibt es nicht.
Besonders stolz ist KJKS auf sechzehn Jugendliche, die kürzlich die zehnte Klasse erfolgreich abgeschlossen haben, trotz der fast zweijährigen Schulschließungen wegen Corona. Viele der Teenager waren während des Lockdowns in die Nachhilfezentren gekommen, um sich dort mit Unterstützung der KJKS-MitarbeiterInnen auf ihre Prüfungen vorzubereiten, denn ihre Eltern haben oft keinen Schulabschluss und können daher nicht beim Lernen helfen. Nun wollen einige eine Ausbildung machen oder auf eine weiterführende Schule gehen. Andere kehren in ihre Dörfer zurück, um ihre Familien im Alltag zu unterstützen und sich in den eigenen Dörfern einzubringen.
Einige der AbsolventInnen engagieren sich in den dörflichen Jugendgruppen, den „Units for Us“ (UfU), in denen sich jeweils etwa 15 Jugendliche und junge Erwachsene regelmäßig unter Anleitung von KJKS treffen. Die jungen Leute sollen die change- maker ihrer eigenen Dörfer werden, also diejenigen, die aktiv dazu beitragen, die Entwicklung im Dorf voranzubringen. Wir konnten bei einem Treffen selbst erleben, wie wichtig und hilfreich dies insbesondere für junge Frauen ist, die hier über Gesundheitsaspekte und Monatshygiene, Gewalt in der Familie oder Kinderarbeit sprechen können. Sie lernen auch etwas über Umweltthemen (z.B. Abfallentsorgung, Vermeidung von Plastikmüll) oder die Anlage von Küchengärten zur dauerhaften Verbesserung der Ernährungssituation.
Für das laufende Jahr planen wir eine partizipative Evaluierung unseres Projekts mit KJKS durch ein erfahrenes externes Team, um bisherige Erfolge und Herausforderungen, die aktuellen Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familien sowie Strategien für die zukünftige Entwicklung gemeinsam mit den Betroffenen für die nächste Projektphase herauszuarbeiten.
Kosten 2023/24: 58.000 € – ca. 76 €/Kind
Stichwort: Adivasi
FN1: Wir danken der NGO German Doctors e.V., die im vergangenen Jahr ausnahmsweise die Kosten für die Mahlzeiten übernommen hat, weil die Indienhilfe das nicht aus eigenen Mitteln finanzieren konnte.